Informationen zum Thema „Hausarztmodell“

 

 

 

 

Sehr geehrte Patientin,

sehr geehrter Patient,

 

die neuen Verträge mit den Krankenkassen (AOK, Barmer) zum Hausarztmodell wurden in den letzten Wochen in der Presse (Rhein-Neckar-Zeitung u. a.) in verschiedenen Artikeln und Leserbriefen diskutiert. Leider gab es dabei auch eine Reihe von Fehlinformationen, weshalb ich dazu kurz Stellung nehmen möchte.

 

 

Was bedeutet eigentlich Hausarztmodell?

 

Das Gesundheitsreformgesetz von 2003 hat den Krankenkassen den Auftrag erteilt, ihren Versicherten Verträge über eine hausarztzentrierte Versorgung anzubieten. Diese Verträge sehen u. a. Prämien für den Versicherten (Patient) vor (AOK-Bonusprogramm), wenn er sich verpflichtet, in der Regel als erstes seinen Hausarzt aufzusuchen (Notfallbehandlungen ausgenommen). Der Hausarzt soll alle wichtigen Informationen über die Behandlung sammeln und ggf. koordinieren (etwa wenn ein Patient wegen seiner Erkrankung bei verschiedenen Spezialisten untersucht werden muss). Dies ist auch in der Vergangenheit häufig so praktiziert worden (seit der Einführung der Praxisgebühr ohnehin). Bei der Teilnahme am Hausarztmodell schreibt sich der Patient in einer Hausarztpraxis seiner Wahl ein. Die teilnehmenden Ärzte verpflichten sich u. a. zu Qualitätskontrollen, regelmäßiger Fortbildung, Orientierung an wissenschaftlich gesicherten Leitlinien für die Behandlung und gegenseitiger Berichterstattung.

 

Wird die freie Arztwahl eingeschränkt?

 

Die Teilnahme am Hausarztmodell ist freiwillig. Auch bei der Wahl des Hausarztes und der Spezialisten, die er ggf. auf Überweisung aufsucht, ist der Patient völlig frei. Er hat sich lediglich verpflichtet, zuerst den Hausarzt aufzusuchen (ausgenommen sind hiervon der Besuch beim Frauenarzt und Augenarzt).

 

Wie sieht es in anderen Ländern aus?

 

Manche Länder wie die Niederlande oder England haben seit vielen Jahrzehnten ein Primärarztsystem. Das bedeutet, dass dort alle Patienten zuerst einen Hausarzt aufsuchen müssen. Auch wenn es dort durchaus berechtigt Kritik am jeweiligen Gesundheitssystem gibt (das übrigens weit weniger Geld kostet als hier in Deutschland), wird das Primärarztsystem kaum in Frage gestellt. Internationale Vergleiche haben ergeben, dass Primärarztsysteme insbesondere bei Zugang zu medizinischer Versorgung für alle Bevölkerungsschichten, in den Bereichen Vorsorge und Prävention, bei der koordinierten Betreuung von chronisch Kranken, aber auch bei harten medizinischen Daten wie der Kindersterblichkeit klare Vorteile haben. Hausarztmodelle, wie sie in Deutschland derzeit umgesetzt werden, sind allerdings nicht gleich zu setzen mit einem Primärarztsystem, das in der Regel viel weiter gehende Regelungen beinhaltet.


Mischen sich die Krankenkassen nicht zu sehr in die Behandlung ein?

 

Die Verantwortung für die medizinische Behandlung liegt ausschließlich beim Arzt. Dabei ist die ärztliche Schweigepflicht zu beachten. Werden Behandlungsdaten an die Krankenkasse weitergegeben (z. B. beim DMP „Diabetes mellitus“), ist dies nur aufgrund gesetzlicher Regelungen und mit schriftlicher Zustimmung des Patienten möglich.

 

Ärzte haben schon immer auch die Wirtschaftlichkeit ihrer Behandlungsmaßnahmen zu berücksichtigen. Wenn ein Arzt ein nicht erstattungsfähiges Medikament oder Hilfsmittel verordnet und die Kasse einen „Regressantrag“ stellt, muss der Arzt (und nicht der Patient) die Kosten tragen.

 

Wird nun auf meine Kosten gespart?

 

Dass Doppeltuntersuchungen und unkoordinierte Maßnahmen verschiedener Ärzte unnötige Kosten verursachen, ist häufig kritisiert worden. Daneben sind manche Maßnahmen mit zusätzlichen Risiken für den Patienten verbunden, die häufig erst beachtet werden, wenn ein Schaden eingetreten ist. Auch die Verordnung von Medikamenten durch verschiedene Ärzte verursacht nicht nur Kosten, sondern kann zu unerwünschten Neben- und Wechselwirkungen führen. Daher sind durch eine bessere Koordination auch Kosteneinsparungen zu erwarten.

 

Die vergleichsweise hohen Arzneimittelausgaben in unserer Region (Nordbaden) haben nichts mit höherer Qualität zu tun (pro Versicherten werden in der Pfalz oder in Nordwürttemberg 20 – 30 % weniger ausgegeben, ohne dass bekannt wäre, dass die Menschen dort kränker seien). Ich sehe es als selbstverständliche Verpflichtung aller Ärzte, zuerst an die Qualität der Versorgung und dann an die Kosten  zu denken. Letztlich entscheiden Ärzte aber auch über das Geld der Versicherten, die das System mit ihren Beiträgen finanzieren.

 

Warum sind dann so viele Ärzte gegen das Hausarztmodell?

 

Ärztevereinigungen wie „Medi“ und die „Nordbadische Ärzteinitiative“ haben sich gegen die Hausarztverträge mit der AOK bzw. der Barmer Ersatzkasse ausgesprochen. Dazu muss man wissen, dass diese Verträge mit dem Hausärzteverband abgeschlossen worden sind und hier ein gewisses Konkurrenzdenken eine Rolle spielt. Die Hausärzte, die sich in der Öffentlichkeit gegen die Verträge aussprechen, sind aber in der Minderheit. Manche Spezialisten befürchten Einbußen bei ihren Umsätzen (wofür tatsächlich andere Faktoren entscheidend sein dürften wie die Reform der ärztlichen Gebührenordnung).

 

Dass die neuen Verträge mehr Bürokratie in die Arztpraxis bringen, ist sicher zutreffend. Der Verwaltungsaufwand wird aber abnehmen, wenn mit mehr Kassen gleichartige Verträge abgeschlossen werden.

 

Wo kann ich mich weiter informieren?

 

Zunächst erhalten Sie Informationen auch bei Ihrer Krankenkasse. Im Internet-Angebot der Krankenkassen finden Sie weitere Informationen unter dem Stichwort „Hausarzt“. Bei weiteren Fragen geben Ihnen die Praxismitarbeiterinnen und ich gerne Auskunft. Ihre Bedenken und Ihre Entscheidungen werden wir in jedem Falle respektieren.

 

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Hausarzt Dr. Stefan Bilger